Hamburg
Peter Albrecht am 3. April 2020: „Ich lasse das von unserer Rechtsabteilung klären und melde mich.“ Bis 24. April 2020 keine Rückmeldung.
Ich wollte von der Fachbehörde wissen, ob ich ein Bußgeld zu befürchten hätte (täglich € 150), wenn ich meinen Sohn aus „familiären Gründen“ in die „Notbetreuung“ seiner Schule schicke.
Als Alleinerziehende Mutter mit einem Einzelkind, das seit dem 14.3.20 quasi nichts mehr tun darf, keine Freunde sieht, keinen Bolzplatz betreten darf, sah ich „familiäre Gründe“ durchaus gegeben.
Apropos Schulgesetz: Alle gesetzlichen Gremien der Schule, also Schüler*innen, Eltern, Personalvertretungen müssen bei schwerwiegenden Entscheidungen beteiligt werden. Dies ist nicht geschehen. Das bedeutet einen klaren Verstoß gegen das Hamburger Schulgesetz durch den Senat und die Fachbehörde BSB.
Hier mein Mailwechsel mit Pressesprecher Peter Albrecht von der Hamburger Schulbehörde (BSB)
31. März 2020
Betreff: Schulschließungen – Definition und gesetzliche Grundlage zu familiären Gründen
Sehr geehrter Herr Albrecht,
ich bin im Elternrat der StS Am Hafen und nun auch als Krisenersatz als home school teacher beschäftigt.
Da ich davon ausgehen muss, dass diese Situation über den 20.4. hinaus gehen wird, also alle Schulen in HH defacto weiter geschlossen bleiben, möchte ich von Ihnen wissen, wie die Ausnahmen (s.u.), die in den Allgemeinverfügungen aufgeführt sind, von der Stadt HH genau definiert werden bzw. voraus sie sich beziehen und auf welcher rechtlichen Grundlage sie beruhen.
In der „Allgemeinverfügung zur befristeten Schließung der Schulen in der Freien und Hansestadt Hamburg“ vom 26. März 2020 steht: Vorerst können alle Eltern, die aus familiären Gründen darauf angewiesen sind, diese Notbetreuung in Anspruch nehmen.
4.) Die Schulschließung nach Ziffer 1 gilt nicht für Schülerinnen und Schüler bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres und für alle Schülerinnen und Schüler mit speziellem sonderpädagogischem Förderbedarf, die aus familiären Gründen auf eine Betreuung angewiesen sind. Die Schulen können in Abweichung von § 13 Absatz 3 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) das Betreuungsangebot für diesen Personenkreis werktäglich auf den Zeitraum von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr begrenzen.
An unserer Schule hat bislang – nach meiner Information – KEIN Elternteil die Betreuung aus familiären Gründen in Anspruch genommen. Ich gehe davon aus, dass der Appell der BSB und die allgemeine Verunsicherung durch die Bundesregierung / Land / Medien dafür sorgen, dass Eltern ihre Kinder – trotz Not – nicht in die Notbetreuung schicken.
Ich persönlich schicke mein Kind – trotz Not – deshalb nicht in die Schule, weil ich ihn nicht allein dort wissen möchte. Ich halte allerdings den „familiären Grund“, dass ich keine ausgebildete Lehrerin bin schon für ausreichend, da ich sein Recht auf Bildung nicht annähernd erfüllen kann – auch nicht mittels Arbeitsblättern, die per Post / Mail zu uns kommen. Ich finde es aus den vorgenannten Gründen auch zynisch, dass nicht nur das Abitur wie geplant stattfinden soll sondern diese Zeit der Schulschließung für alle Auswirkungen auf ihre Noten haben wird. Welche Pädagogen haben sich das einfallen lassen?
Mir fallen zusätzlich eine Menge „familiäre Gründe“ ein, die meiner Meinung nach rechtfertigen, dass Kinder in der Schule weiter betreut und nach Möglichkeit auch weiter gebildet werden: z.B. häusliche Gewalt, Psychoterror, sexuelle Übergriffe, beengte Wohnverhältnisse, verstärkter Medienkonsum und damit verbundenes Suchtpotenzial, sowie die mangelnde Unterstützung durch Eltern – vor allem jene, die nicht in der Lage sind home schooling zu leisten, da sie selbst geringe Bildung besitzen / durch Kündigung, Kurzarbeit, oder Ladenschließungen in ihrer Existenz bedroht sind, weiterhin oder noch mehr arbeiten müssen / Angstzustände, chronisch oder psychisch krank sind oder nur ganz normal verunsichert und zurückgeworfen auf mangelnde vorhandene Hilfssysteme / sich selbst.
Familien mit Migrationshintergrund und geringer Bildung sind auf schulische Bildung und Betreuung in besonderem Maße angewiesen. Das haben Studien immer schon bestätigt.
Deshalb haben wir ja das staatliche Bildungssystem, das allen Zugute kommen soll, damit nicht Geld, Herkunft oder Status über Bildungserfolge und Zukunftschancen entscheiden.
Auch ist es nachweislich so, dass das Essen in der Schule für einige Kinder die einzige warme Mahlzeit des Tages ist.
Aus meiner Sicht ist die von der BSB ausgegebene „Empfehlung“, die Kinder nur im „NOTFALL“ in die „NOTBETREUUNG“ (was für ein suggestiver Begriff!) zu geben, fahrlässig.
Wir – v.a. die Schüler*innen und das Schulpersonal vor Ort – werden nach Corona das ausbaden müssen, was Ihre Behörde gerade nachhaltig verbockt, indem sie die Schwächsten der Gesellschaft gerade ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt. Ich bin mir sicher: Nach Corona werden sich die ohnehin schon schwierigen Verhältnisse an vielen Stadtteilschulen, die als einzige die Inklusion der ganzen Stadt zu stemmen haben, durch zusätzlich durch Corona traumatisierte Kinder noch verstärken. Ihre Behörde wird sich als verantwortliche Fachbehörde Verantwortung übernehmen müssen.
Was wird sein, wenn nach Kinder aus bildungsfernen Familien (oder auch solche mit Bildung) durch die wegen Corona verhängten Maßnahmen traumatisiert, wieder in die Schule gehen?
Am 1. Tag drüber reden, wie schlimm das alles war und am 2. Tag alle die Bücher aufschlagen und weiter als wäre nichts gewesen?
Wenn man bedenkt, dass jetzt schon beschlossen wurde, dass das Abitur ganz normal stattfinden wird, scheint es der Stadt HH und der BSB letztlich egal zu sein, was nach Corona mit den Kindern und Jugendlichen passiert. Wird schon!
Ich frage mich auch, welchen Stellenwert Bildung, das Recht auf Bildung und Betreuung und die Allg.Schulpflicht in unserem Land eigentlich noch haben, wenn das alles durch ein Virus auf unbestimmte Zeit mit regelmäßigen Verlängerungen durch das Mittel von Allgemeinverfügungen (!!) jederzeit wieder passieren kann. Sind Schulen und unsere Kinder also nicht systemrelevant? Und von welcher Relevanz und von welchem System sprechen wie eigentlich, wenn wir die Zukunft unseres Landes, die kommende Generation, auf einmal kaltstellen?
Ich bitte Sie, da ich im Netz für HH zu meinen Fragen nichts finden kann, mich aufzuklären und mir die nötigen Paragraphen / Unterlagen (als Link) zuzusenden.
Vielen Dank und bleiben Sie gesund!
Rosa von der Beek
31. März 2020
Sehr geehrte Frau von der Beek,
wir haben bewusst die offene Formulierung „aus familiären Gründen“ gewählt und die Entscheidungsgewalt in die Hände der Eltern gelegt, weil nur diese ihre eigene Situation beurteilen können und sicher verantwortungsbewusst mit dieser Entscheidung umgehen. Daher gibt es auch keine Listen oder Übersichten von „systemrelevanten“ Berufen der Eltern oder juristische Bestimmungen, sondern es gilt: kein Kind wird abgewiesen. Darauf sind erneut alle Schulen hingewiesen worden.
Wir gehen davon aus, dass die Betreuungsquote in den nächsten Tagen und Wochen ansteigen wird, weil bis dahin verbleibende Urlaubstage, Überstunden etc. abgebaut sind und dann wieder ein Betreuungsbedarf besteht.
Beste Grüße und alles Gute Ihnen!
Peter Albrecht
Pressesprecher | Leitung Kommunikation
Koordination A-Bundesländer
Freie und Hansestadt Hamburg
Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB)
– Hamburgisches Landesministerium –
Senatorenbüro
Hamburger Straße 31, 22083 Hamburg
Tel. (040) 428 63 – 2003 (direkt), (040) 42863 – 2545 (Assistenz)
eFax: (040) 4279 – 66619
E-Mail: peter.albrecht@bsb.hamburg.de
Internet: www.hamburg.de/bsb
3. April 2020
Guten Morgen Herr Albrecht,
danke für Ihre schnelle Antwort, die sich ja anhört, als hätten wir Eltern tatsächlich die Wahl, jedoch seit gestern wesentliche Fragen aufwirft.
Seit gestern gibt es den Bußgeldkatalog, der von der Hamburger Bürgerschaft (???) verabschiedet wurde. Darin:
Quelle: https://www.bussgeldkatalog.org/corona-Hamburg/
Wie darf ich das bzw. alle Eltern von ca. 200.000 SchülerInnen in Hamburg, die evtl. „familiäre Gründe“ für sich in Anspruch nehmen wollen würden, interpretieren?
Wer entscheidet und auf welcher Grundlage, was den „familiären Gründen“ widerspricht, also was genau ist eine „verbotswidrige Inanspruchnahme von Notbetreuung“, die ein Bußgeld nach sich zieht?
Mit freundlichen Grüßen
Rosa von der Beek
3. April 2020
Guten Morgen Frau von der Beek,
ich lasse das von unserer Rechtsabteilung klären und melde mich.
Die grundsätzliche Regelung ändert sich aber nicht: Die Verantwortung für die Entscheidung, ob die Notbetreuung an der Schule in Anspruch genommen werden soll, liegt bei den Eltern. Das zurecht und die gängige Praxis hat gezeigt, dass Eltern damit auch sehr verantwortungsbewusst umgehen. Schule/Schulleitung kann am Ende nicht wirklich beurteilen, ob eine andere/bessere Betreuungslösung zur Verfügung stünde oder nicht.
Der Bußgeldkatalog wurde vom Senat beschlossen.
Beste Grüße!
Peter Albrecht
14. April 2020
Sehr geehrter Herr Albrecht,
ich warte jetzt seit 10 Tagen auf die Auskunft Ihrer Rechtsabteilung zu meiner Frage, die sicher auch einige andere Hamburger Eltern interessiert.
Bitte melden Sie sich umgehend bei mir.
Mit freundlichen Grüßen
Rosa von der Beek
21. April 2020
Sehr geehrter Herr Albrecht,
ich werde es nicht weiter akzeptieren, dass Sie meine berechtigten Fragen ignorieren.
Offenbar besteht Ihre Behörde aus noch mehr geballter Inkompetenz als ich es eh schon seit Jahren beobachten konnte bzw. ertragen musste.
Ich bin wirklich sprachlos über die Arroganz und Leichtfertigkeit, mit der Sie und die zuständige Behörde ca. 200.000 SchülerInnen traumatischen Erlebnissen aussetzen und von ihrem Grundrecht auf Bildung abhalten.
Mir sind persönlich Fälle bekannt, die von häuslicher Gewalt und totaler Überforderung der Familien zeugen.
Sie und Ihre „Fachbehörde“ sowie die FHH werden darüber Rechenschaft ablegen und sich verantworten müssen.
Ich hoffe sehr, dass Köpfe rollen werden – so wie auch im Senat und in der Bürgerschaft dieser „freien“ Hansestadt.
Ich stelle Ihnen hiermit eine allerletzte Frist bis Do. 23.4.2020 um 18 Uhr.
Bis dahin erwarte ich eine ausführliche und begründete Antwort zu meiner Frage vom 3.4.2020. Außerdem erwarte ich – auch als gewählte Elternvertreterin und Teil des Elternrates StS Am Hafen – nachprüfbare und fundierte Informationen zum Vorgehen in den nächsten Wochen. Und zwar zu folgenden Fragen, die aus dem Elternrat kommen und die ich auch weiter geben werde:
Wann werden welche Schüler*innen (Jahrgangsweise / Gruppenstärke etc.) wie (von welcher Qualität) und von wem (Betreuungsschlüssel / LuL / Soz.Päd. / Sonderpäd.) und wo genau (Räumlichkeiten und deren Qualitäten / gesonderte Anforderungen / Hygiene etc.) betreut werden.
Wie sind die Regelungen für gemeinsames Essen / Pausenzeiten auf dem Hof / Treppenhäuser.
Bitte alles eindeutig und ausführlich und mit den konkreten Hinweisen auf Verordnungen / Erlasse / Gesetze / andere Vorgaben der Fachbehörden der FHH.
Mit nicht mehr freundlichen Grüßen
Rosa von der Beek